Hurennoise [Cc_maru_MI]
Text von Karin Koschell Jänner 2006


In der Reihe ihrer Embleme führt unsere Gesellschaft das des sprechenden Sexes. Des Sexes, den man überrascht, den man verhört und der, gezwungen und redselig zugleich, unablässig antwortet.

Ein bestimmter Mechanismus, der so märchenhaft ist, dass er sich selber unsichtbar macht, hat ihn eines Tages eingefangen. In einem Spiel, in dem die Lust mit dem Unfreiwilligen, das Einverständnis mit der Inquisition sich mischt, lässt er ihn die Wahrheit über sich und andere sagen.


Wir leben seit Jahren im Reiche des Fürsten Mangogul¹:

Beute einer ungeheuren Neugier auf den Sex, versessen darauf, ihn auszufragen, unersättlich darin, ihn sprechen zu hören, geschickt im Erfinden all der magischen Ringe, die seine Diskretion bezwingen können.

So, als sei es wesentlich für uns, aus diesem kleinen Bruchstück unser selbst nicht nur Lust, sondern auch Wissen zu ziehen und ein subtiles Spiel, das von einem zum anderen geht: Wissen von der Lust, Lust, die Lust zu wissen, Lust-Wissen; und als habe dieses wunderliche Tier, das wir beherbergen, ein genügend neugieriges Ohr, genügend wachsame Augen, eine so flinke Zunge und einen so gewandten Geist, dass es viel davon weiß und auch zu sagen imstande ist, reizt man es nur mit ein wenig Geschick.


aus Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, Sexualität und Wahrheit 1, suhrkamp, 1983, p 97


Wenn man davon absieht, dass der Mensch in erster Linie ein bad animal ist, könnten auch durchaus einige lobenswerte - nur dem Menschen - innewohnenden Eigenschaften angeführt werden. Beispielsweise die quasi krankhafte Sucht nach Erkenntnis respektive Erkenntniszuwachs. Soweit wir wissen, quält sich kein anderes Lebewesen auf diesem Planeten - und das oft ein Leben lang - mit erkenntnistheoretischen Überlegungen philosophischer Natur ab, geschweige denn erfindet es Begriffe und Theorien für Dinge, die den eigenen geistigen Horizont, die eigene Erfahrung übersteigen (Metaphysik u. dgl.).

Womit sich die Frage stellt, vorausgesetzt, man geht mit diesen Gedanken konform, was wohl der Antrieb, der Auslöser für solch eine rastlose und von vornherein aussichtslose Suche ist. Je nach philosophischer/politischer/ideologischer Ausrichtung werden verschiedene Gewichtungen vorgenommen werden, was dem einen wichtig erscheint, wird dem anderen vollkommen irrelevant erscheinen.

Die Autorin ist der Überzeugung, dass eine der entscheidensten Antriebsfedern, Wissen zu erlangen und ganz allgemein nach Erkenntnis zu suchen, Sexualität ist. Mit dieser Meinung steht sie selbstverständlich nicht alleine da. Was allerdings genau unter Sexualität zu verstehen ist, scheint unmöglich klar zu beantworten zu sein.

Gemäß der Bedürfnispyramide nach Maslow² können natürlich sehr wohl Bedürfnishierarchien erstellt werden. Solange die Grundbedürfnisse nicht gestillt sind, wird sich das Verlangen nach Erkenntnisgewinn in Grenzen halten. Was jedoch auch nicht für jede Person gilt, denn das Bild vom völlig verarmten, heruntergekommenen Künstlers oder Wissenschaftlers spricht eine andere Sprache, und ist für viele bittere Realität.

Tatsache ist, dass Sexualität für die meisten Menschen zu den primären Bedürfnissen zählt, anders wäre das vollkommen irrationale Verhalten der Mehrheit bezüglich ihres Paarungsverhaltens nicht zu erklären.

Man kann sich auch im Foucaultschen Sinne die Frage stellen, warum Sex nach wie vor so geheim geblieben ist, von allerlei Tabus - je nach Kulturkreis - behaftet ist, und was das für eine Kraft ist, die ihn so lange zum Schweigen gebracht hat und sich erst seit kurzem lockert, eine Kraft, die uns vielleicht erlaubt, ihn auszufragen, aber nie ohne den Weg über seine Unterdrückung zu gehen, um bei Foucaults Worten zu bleiben.

Die Machthabenden waren natürlich von jeher bestrebt, solch individuelle, dunkle und unkontrollierbare Kräfte in die von ihnen gewünschten Bahnen zu lenken. Was auch immer unternommen wurde, Sexualität zu liberalisieren, sofort wurden und werden Gegenmaßnahmen in Form von Verboten, Tabuisierungen, und dergleichen mehr an Grausamkeiten der menschlichen Würde gegenüber eingeleitet. Sex wird als tierisch degradiert, und Personen, die unerwünschtes Sexualverhalten an den Tag legen, oft grausamst bestraft. Jedes Mittel erscheint gerechtfertigt.

Sexuelle Energien werden als subversiv empfunden, oder umgekehrt als Unterdrückungsmechanismus genutzt.

All diese Aspekte versucht hurennoise umzusetzen. Sexualität als etwas, das mit allen Sinnen empfunden werden soll. Etwas letztendlich Unerklärliches, das irritiert, unangepasst ist, insofern befriedigt wird, indem gesellschaftliche Normen, also das Gelernte negiert, überhaupt alles außer acht gelassen wird, was an systemkonformen Verhalten gefordert wird. Oder auch nicht. Wer würde sich schon anmaßen, einen geglückten Akt mit Worten zu beschreiben.

Ein entscheidender Punkt, den hurennoise demontieren will (und durch performance symbolisch auch realiter demoliert), ist der Umgang der Machthabenden mit Medien. Medien werden als Steuerungsmechanismen zur Machterhaltung angesehen, und als Transportmittel für unerfüllbare Verhaltensweisen und Äußerlichkeiten, die als absolute Prämisse des momentanen "Mensch-Seins" gefordert werden.

Warum erliegt man und frau wider besseren Wissens diesen Vorgaben?! Der Mensch als soziales Wesen versucht selbstverständlich innerhalb des Systems zu überleben und wird somit zu einem fremdbestimmten Wesen, völlig banale Dinge können dann sein/ihr Leben beeinflussen. Überspitzt formuliert mag die Wahl des richtigen Toilettenpapiers existenzielle Bedeutung gewinnen, da die Bedürfnisweckung sehr oft auf diesem Niveau basiert.

Zusätzlich wird sexuelle Stimulation eingesetzt - meist recht plump auf primäre sexuelle Reize beschränkt, gleichzeitig die adäquate Reaktion verboten/tabuisiert, um diese Ziele zu erreichen. Was an und für sich vollkommen legitim wäre, wenn den KonsumentenInnen auch ansonsten Entscheidungsfreiheit gewährt werden würde. Es entsteht die paradoxe Situation, dass einerseits - meist über Medien - unerfüllbare Sehnsüchte geweckt werden, ein Idealtypus als unabdingbar vermittelt wird, genauer - die KonsumentenInnen setzen sich - nach einiger Zeit freiwillig - einem andauerndem Bombardement von Verhaltensvorschriften und Zwängen aus, andererseits erzeugen diese Vorgaben extreme Unlust, beschränken sie sich doch nur auf Äußerliches. Diese Unlustgefühle gilt es dann zu bekämpfen. Ein Zwang führt also zum nächsten - der so konditionierte Mensch erkennt schließlich die diversen Ersatzbefriedigungen nicht mehr als das, was sie sind, schale Freuden, die kurzfristig Erleichterung bringen, jedoch immer die Intention in sich bergen, diese zu wiederholen und zu steigern.

Sexualität so gesehen als mächtiges Instrument, Menschen zu lenken.

Was über die (von den Machthabenden kontrollierten) Medien transportiert wird, soll den für die Machthabenden idealen Menschen kreieren. Sexualität in diesem Zusammenhang also als Mittel, das Eigenständigkeit im Denken und im Handeln, das Reflexion über die Welt unterbinden soll.

Medienkritik wird von hurennoise auch in dem Sinne geübt, dass "vertraute" Mechanismen zum Einsatz kommen, man bedient sich genau einiger dieser Instrumente auf eine Art und Weise, die irritieren muss.

Gleichzeitig versucht sich hurennoise an neuen medialen Zugängen. Reizüberflutungen, Geräuschübersteigerungen (noise), die menschliche Aufnahmekapazität völlig negierende Sequenzen gekoppelt mit Bildern, die eben keine konkreten Denkmuster vermitteln sollen, sondern vielmehr eigenständige, in einem kreativen Akt erzeugte Reaktion beim Zuhörenden und Zusehenden hervorrufen soll. Aggressiver Einsatz von Sexualität, so soll es auch empfunden werden. Der Einsatz in den herkömmlichen Medien ist ja nicht weniger aggressiv, nur weil ein geschönter Idealtypus in für Konsumenten leicht rezipierbarer Weise vermittelt wird, im Gegenteil, kritische Überprüfung soll eben auf diesem Wege eliminiert werden.

Das Mittel der Reizüberflutung setzt hurennoise so massiv ein, dass klar zum Ausdruck kommt, was abgelehnt wird: dass KonsumentenInnen einerseits freiwillig Zeit damit verschwenden, sich all diese hohlen Informationen zu beschaffen - ein Spiel ohne Ende, und dass andererseits genau dadurch der Kreislauf in Gang gehalten wird.

Die perfekte Überwachung, der Überwachte wird selbst zum Überwacher.


Freuds Verdienst liegt vor allem darin, Sexualität wissenschaftlich thematisiert zu haben, ihr ihre herausragende Bedeutung zuzugestehen, und sexuelle Tabus anzutasten. Alle, die danach Sexualität in ihren Theorien beschrieben, verdanken Freud, dass Sexualität aus ihrem "Schmuddeldasein" auf eine wissenschaftliche und somit leichter annehmbare Ebene gehoben wurde.

Der vormals als allgemein gültig anerkannte Zugang zu Sexualität, so etwa das Gebot christlicher Askese, diverse Inzestverbote, das Leugnen kindlicher Sexualität und dergleichen mehr, wird nicht mehr als a priori wahr angesehen. Nichtsdestotrotz änderte sich damit nicht allzu viel.

Man denke an die Bücherverbrennungen in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts (sic!) im freien Amerika. Die Bücher von Wilhelm Reich verschwanden allesamt in Verbrennungsanlagen, zuvor verbot ihm der FDA (Food and Drug Administration) den Verkauf seiner "Orgon-Akkumulatoren" (Vorrichtungen zur Behandlung von physischen und psychischen Blockaden). Er befolgte 1957 eine gerichtliche Verfügung nicht, wurde inhaftiert und verstarb wahrscheinlich an einem Herzinfarkt im selben Jahr im Gefängnis. In Amerika, dem Land mit der unbegrenzten Pornographieindustrie, und gleichzeitig mit den irrgeistigsten Sanktionen gegenüber den sexuellen Verhaltenweisen seiner BürgerInnen.

Und der Rest der Welt mittlerweile geprägt von diesem wahrhaft grauenhaften Sexualverständnis. Wilhelm Reich wird nur als ein bitteres Schicksal von vielen herausgegriffen, denn es geht bei hurennoise auch um die Thematisierung von Unterdrückung und um (staatliche und mediale) Unterdrückungsmaschinerien. Und um die Notwenigkeit, sich verkaufen zu müssen, um überleben zu können (Der Begriff Prostitution wird also im weitesten Sinne verwendet.) Wilhelm Reich ließ sich weder unterdrücken, noch verkaufte er seine Ideale. Die Liste seiner Verbrechen war lang.

Er war Jude und ein zutiefst politischer Mensch. Er war Marxist, kurz Sozialist und danach noch subversiver in seiner politischen Sichtweise, denn er entwickelte eine eigene politische Ideologie (Arbeitsdemokratie), vergleichbar am ehesten mit dem Gildensozialismus Chestertons, dem Anarchismus Kropotkins und dem libertärem Marxismus. Er sprach tatsächlich über Sexualität - das heißt, er widmete zum Beispiel einige Kapitel seiner Arbeit dem Orgasmus. Er war fast schon besessen von seiner Theorie, dass alles von biologischer Energie, Orgon, durchdrungen ist, und stellte damit die etablierte Lehrmeinung in Frage. Er legte sich mit jedem staatlichem Exekutivorgan an, das ihm in die Quere kam, oder das seiner Meinung nach die Unterdrückung der BürgerInnen vorantrieb. Sei es die American Medical Association, die er mit seiner Ansicht, dass jede Krankheit psychosomatische oder politische Ursachen hätte, vor den Kopf stieß, oder sei es die Food and Drug Administration, deren Verbote er ignorierte.

Dies gipfelte darin, dass 1957 sein Labor zerstört wurde, dass 1960 seine Bücher - nunmehr zum zweiten Male, in den dreißiger Jahren zeichneten sich die Nazis dafür verantwortlich - verbrannt wurden , und, als er eine gerichtliche Verfügung nicht befolgte, dass er inhaftiert wurde. Sein Mitarbeiter beging Selbstmord, er selbst starb einige Monate nach seiner Inhaftierung im Gefängnis. Nicht einmal die genaue Todesursache ist bekannt, denn den Ketzern wird auch nicht nach dem Tod eine gewisse Menschenwürde zugestanden. Niemand wird verlangen, dass Widerstand gegen Unterdrückung so obsessiv gelebt wird. Wie weit jemand gehen kann und möchte, um seine Ideale zu verteidigen, dies kann nur jede/r selbst für sich entscheiden. Sind auch nicht alle Instrumente des Widerstandes so gewaltig, können sie doch bewirken, Sand in die Unterdrückungsmaschinerien zu streuen.

Und vor allem sollte man wachsam sein. Wachsam gegenüber der gängigen Lehrmeinung, ganz allgemein gegenüber Etabliertem. Die Propaganda gegen Reich wurde von dem wissenschaftlichen Fundamentalisten seiner Zeit angeführt, Martin Gardner, welcher eine unfehlbare Methode hatte, herauszufinden, was echte Wissenschaft ist. Echte Wissenschaft ist diejenige, die mit seinen eigenen Götzen übereinstimmt, Pseudowissenschaft diejenige, die nicht damit übereinstimmt. Colin Wilson schrieb einmal über ihn: "Ich wünschte, ich könnte mir über irgendetwas in der Welt so sicher sein wie Martin Gardner." Oder eine weitere Meinung über ihn besagt, dass nicht alle Päpste des zwanzigsten Jahrhunderts zusammen den Mut gehabt hätten, derart viele Dogmen aufzustellen, und kein Mann seit Oliver Cromwell einen so uneingeschränkten Glauben an seine Unfehlbarkeit besessen hätte wie er. Ein weiteres beliebtes Instrument zur Denunzierung von BürgerInnen ist die Verunglimpfung der Person. Unerwünschtes Verhalten wird als anormal, psychotisch, schizophren, was auch immer bezeichnet, der/die Betreffende in entsprechenden Anstalten verwahrt. Seine/ihre Existenz damit mehr oder weniger gelöscht, denn selbst die einfachsten BürgerInnenrechte werden ihm/ihr dann verwehrt.

Und die Bücher Reichs mussten auch deshalb vernichtet werden, da sie dem Lesendem nicht nur politische Freiheit zugestanden haben, sondern auch Techniken aufzeigte, die eigenen Blockaden (auch diejenigen sexueller Natur) zu lösen. Durch die Verbrennung der Werke Reichs und durch die Vernichtung seiner existenziellen Grundlage respektive seines Labors sollte laut FDA das amerikanische Volk vor dem moralischen Verfall geschützt werden. Wer solch einem Wahnsinn nicht entgegentritt, verdient es nicht, auch nur annähernd in Freiheit zu leben.

Die Aktionen von hurennoise wollen all jene Schemata, die der Unterdrückung dienen, aufbrechen, dazu anregen, sich, im Sinne Wilhelm Reichs, ein eigenes Sexualverständnis zuzugestehen, denn niemand sollte sich gezwungen fühlen, über Sex reden zu müssen oder nicht, die vorgegebenen und erlaubten Sexualpraktiken zu übernehmen bzw. andere - je nach ideologischer Ausrichtung - abzulehnen, oder gar andauernd versuchen, den hohlen, ewig grinsenden Gestalten zu entsprechen, die als meinungsbildende Marionetten in den Medien eingesetzt werden, um das für die Machthabenden erwünschte Verhalten zu erzeugen. So ist es auch zu verstehen, wenn Symbole der medialen Unterdrückungsmaschinerie während der performance zerstört werden. Stimme wird nicht als gefällige Untermalung, sondern als Instrument des Widerstandes eingesetzt.

Widerstand gegen den enormen Medienmüll, der sich ohne Unterlass über uns ergießt. Gegen die Unfreiheit, über sich und seine Sexualität nach eigenem Ermessen bestimmen zu können - dass es sich dabei nur um Verhaltensweisen handeln kann, die keine andere Person schädigen, versteht sich von selbst.

Gegen mediale Plutokratie und gegen mediale Uniformität. Gegen medialen Machtmissbrauch und gegen Instrumentalisierung von Sexualität. Zum Ausdruck kommen soll auch, dass letztendlich jede/r selbst dafür verantwortlich ist, inwieweit dieser alles zuwider laufende verschlingende Medienmoloch unterstützt wird. Keine Kritik daran zu üben, es einfach geschehen lassen, nützt nur den PlutokratenInnen. So ist auch hurennoise zu verstehen, die Essenz der performance als Bemühen anzusehen, Sexualität und Machtmechanismen besser zu begreifen, um in Folge bewusster damit umgehen zu können.

Um der Prostitution der SystemerhalterInnen eine klare Absage zu erteilen, und um sich gegen die mediale "Sündenbock-Strategie" zu verwehren, denn das Zeremoniell des Sündenbocks stellt den Prototyp aller Ausstoßungsrituale dar. In Griechenland (Boötien) wurden, so bezeugt bei Plutarch, im 1.Jh.AD jedes Jahr ein oder mehrere Sündenböcke rituell aus dem Dorf gejagt. Dieses "Prinzip der Opferung" scheint noch immer gesellschaftsimmanent zu sein, mit dem grausamen Zusatz, dass mittlerweile die professionellen "Menschenopfer-Austreiber" am medialen Altar reale Opferungen vornehmen. Die Griechen wussten sehr wohl um die stellvertretende Position ihres Sündenbocks (pharmakos), ihnen genügte, auf diese Art Übel abzuwenden. Den Medienmogulen heute reicht dies schon lange nicht mehr. Niemand wird vertrieben, sondern alle dem einem geopfert: Konformität. Widerstand mag vergeblich erscheinen, denn gleich der Hydra verdoppeln sich die Köpfe der Mediengiganten, schlägt man sie ab. Herakles gelang es trotzdem, Hydra zu vernichten, so besteht auch für uns noch Hoffnung, die medialen Ungeheuer zu besiegen.

Denn wer sich dagegen nicht zur Wehr setzt, zulässt, dass jegliche Meinung aus den Medien übernommen wird, bestimmt das soziale Klima mit. Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er/sie in die Hände der Machthabenden arbeitet, oder den Weg des Widerstandes wählt. Sich allerdings zu beklagen, ohne den Versuch unternommen zu haben, einen - und sei er auch noch so klein - Beitrag zu leisten, kann nicht akzeptiert werden. Soziale Verantwortung heißt auch, sich gegen die Mehrheit zu stellen, wenn einem dies richtig erscheint.

So fügt sich auch der Ablauf der performance in dieses Konzept der Gegenwehr ein. Sei es das Outfit der Künstler, das irritieren soll, und die aggressive Degradierung von Sexualität vor allem in den Medien aufzeigt und verurteilt, sei es die symbolische Zerstörung von medialen Machtinstrumenten, vor allem jene, die Sexualität dafür missbrauchen, sei es die eindeutige (und nicht neue) Botschaft "das zu zustören, was uns zerstört", oder sei es der Versuch, die Zuhörenden und Zusehenden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aus den normalen Hör- und Sehgewohnheiten zu reißen, zu verstören oder auch nur zu reflektierendem Denken zu animieren. Keinesfalls sollen alte Ursache-Wirkungs-Schemata zum Tragen kommen, da sie dazu verführen, auf alten, anachronistischen Bahnen zu verbleiben. (Die Kausalität hat schon seit Überwindung des Newtonschen Weltbildes ausgedient, wird jedoch nach wie vor als Wahrheit verkauft, wenn es von Nutzen ist. Hurennoise auch als eine Kampfansage gegen Utilarismus.) Vielmehr sollen gewohnte Bahnen verlassen werden, neue mediale Wege zu beschreiten, ist, wie schon erwähnt, ebenso eine Intention von hurennoise.

Zumindest diese Bereitschaft wird vom Publikum gefordert, danach mag jede/r für sich selbst entscheiden, welche medialen Wege er/sie beschreiten möchte.



¹ Foucault bezieht sich dabei auf Diderots ersten Roman Les Bijoux indiscrets, den er anonym im Jahre 1748 veröffentlichen ließ, und der - sehr erotisch und subversiv zugleich - ein großer Erfolg wurde. Kein Wunder, prangert er doch in Form einer Allegorie das ausschweifende Leben am Hofe Ludwigs XV an. So wird aus Ludwig XV Sultan Mangogul von Kongo, der sich von seinem Hofmagier zu seiner Belustigung einen magischen Ring anfertigen lässt, der, steckt man ihn an den Finger, bewirkt, dass die weiblichen Genitalien (bijouxs) sprechen. Mirzoza, die bevorzugte Kurtisane des Sultans, die natürlich der Mätresse Ludwig XV Madame Pompadour entspricht, missbilligt seine lüsterne Neugier. Sie sieht korrekt voraus, dass solch ein Ring Institutionen wie beispielsweise die Ehe umstürzen wird. Foucault verwendet diesen magischen Ring als Bild für die Sprachlosigkeit in Bezug auf Sexualität. Er meint den Menschen auf der ständigen Suche nach einem solchen Gegenstand, der Sexualität verständlicher macht. Sexualität soll nicht nur erlebt werden, Sexualität soll auch kommunizieren, wir wollen verstehen, was dabei mit uns geschieht. Tabus und Verbote, unzureichende Begriffe und Vorurteile scheinen bis jetzt verhindert zu haben, dass sich Sexualität uns rational mitteilt.

² Abraham H. Maslow gilt als Gründervater der humanistischen Psychologie. Er entwickelte das Modell der Bedürfnispyramide (1954), um Motivationen von Menschen zu beschreiben. Die menschlichen Bedürfnisse bilden die Stufen der Pyramide; gemäß dieser eindimensionalen Theorie bauen sie aufeinander auf. Der Mensch versucht demnach zuerst die Bedürfnisse der niedrigen Stufen (Nahrung, Fortpflanzung u. dgl.) zu befriedigen, bevor die nächsten Stufen an Bedeutung erlangen. Am Ende sollte die wahre Selbstverwirklichung stehen.

³ Wilhelm Reich gilt als erster Psychoanalytiker, der sich seinen PatientenInnen - auf derselben Höhe – gegenübersetzte, und ihre Mimik und Körpersprache als charakterliche Widerstände betrachtete. Er konfrontierte sie mit ihrem unbewussten emotionalen Ausdruck und brachte unterdrückte Wut, Ekel etc. zum Vorschein. So brach er auch ein Gebot der Psychoanalyse, die PatientenInnen dürften nicht berührt werden, denn Bestandteil seiner Widerstandsanalysen waren auch Massagen zur Lösung von physischen und psychischen Blockaden. Das Ziel der von ihm aus der Widerstandsanalyse entwickelten Vegeto-Therapie respektive psychiatrische Orgon-Therapie, ist die Lösung der Blockaden und die Sicherung gesunder (genitaler) Charakterstrukturen, indem der Körperenergie ein ungehinderter Fluss durch die gesamte Muskulatur ermöglicht wird.